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Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof)

Die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof) ist die geschlechterpolitische Stimme im wissenschafts- und hochschulpolitischen Diskurs. In der bukof sind alle verbunden, die Struktur und Kultur von Hochschulen in Deutschland geschlechtergerecht gestalten. Als wegweisende und zukunftsorientierte Akteurin befördert sie einen Kulturwandel in der Hochschullandschaft, der geschlechter- und gesellschaftspolitisch wirkt.

Hochschulen sind Orte, von denen bedeutende gesellschaftliche Impulse ausgehen. Sie sind zugleich Spiegel der Gesellschaft und als öffentliche Institutionen verschiedenen Gesetzen verpflichtet. Die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichstellung der Geschlechter lösen Hochschulen allerdings noch nicht ein. Von den Studienbedingungen bis zum Anteil von Professorinnen, von den Arbeitsbedingungen bis zur Zuschreibung von Care-Aufgaben existieren an allen Hochschulen große Unterschiede zwischen den Geschlechtern und ein an der binären Norm orientiertes Geschlechterverständnis. Geschlechtsbezogene Verzerrungseffekte und diskriminierende Mechanismen bis hin zur Sexualisierten Diskriminierung und Gewalt tragen dazu bei, dass diese Unterschiede fortgeschrieben werden. Hinzu kommt, dass die Gleichstellungsarbeit an den Hochschulen in Deutschland von sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozessen geprägt ist, die nicht überall ausreichend und verlässlich sind.

Personalpolitik für eine geschlechtergerechte Hochschulkultur

Das deutsche Wissenschaftssystem zeichnet sich im internationalen Vergleich als besonders exklusiv aus. Befristete Stellen und eine lange Phase der Qualifizierung bis zu einem gesicherten Beschäftigungsverhältnis führen häufig dazu, dass Wissenschaftlerinnen die Hochschulen vorzeitig verlassen. Geschlechtergerechte Personalentwicklung an Hochschulen bedeutet, Karrieren von Frauen in allen Bereichen der Wissenschaft, Technik und Verwaltung gezielt zu fördern und klare Akzente für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere für alle Hochschulbeschäftigten zu setzen. Die bukof fordert Hochschulen auf, eine geschlechtergerechte Personalpolitik zu implementieren. Führungskräfte sind aufgerufen, sich für eine transparente und geschlechtergerechte Personalauswahl einzusetzen, reflektierte Personal- und Förderentscheidungen mit Bewusstsein für Bias-Effekte zu treffen und dem frühzeitigen drop out von Frauen und unterrepräsentierten Geschlechtern entgegenzuwirken.

Eindeutig queer: Geschlechtergerecht und diskriminierungskritisch

Die bukof vertritt eine geschlechtergerechte und diskriminierungskritische Gleichstellungspolitik. Geschlecht ist Teil der selbstbestimmten Identität eines Menschen. Geschlechtervielfalt ist Realität. Die gesamtgesellschaftlich gängige Einteilung in Männer und Frauen verstellt aber den Blick auf alle Lebensrealitäten, die über das binäre, heteronormativ gedachte Geschlechtermodell hinausgehen. Das führt zur strukturellen Diskriminierung von Menschen, die lesbisch, schwul oder bisexuell leben bzw. sich mit trans*, inter, queer, nicht-binär oder einer anderen Selbstbezeichnung identifizieren (lsbtiq*). Die bukof setzt sich für die Gleichstellung aller Geschlechter ein und fordert dazu auf, die binäre und biologistische Geschlechterordnung kritisch zu hinterfragen. Gegen Homo-, Trans- und Interfeindlichkeit sowie Heteronormativität bezieht die bukof aktiv Stellung.

Diversität braucht Antidiskriminierung

Geschlecht, Rassifizierung oder soziale Herkunft, körperliche Befähigung, sexuelle Identität, Religionszugehörigkeit oder Alter: Diskriminierung hat viele Dimensionen, die zusammenwirken. Diversity-Policies sind ohne Antidiskriminierung nicht denkbar. Die bukof setzt sich für eine chancengerechte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen an der hochschulischen Bildung und Forschung ein. Es ist Aufgabe von Hochschulen, Ausgrenzung und Benachteiligung in allen ihren Dimensionen zu erkennen, zu benennen und organisationale Konsequenzen zu ziehen. Die bukof fordert, dass Hochschulen Geschlechter-, Antidiskriminierung- sund Diversitätspolitik als gleichbedeutende Handlungsfelder anerkennen und in der gesamten Organisation implementieren.

Solidarisch gegen Antifeminismus

Mit dem Erstarken rechtspopulistischer und rechtsradikaler Strömungen haben die Angriffe auf die Geschlechterpolitik und -forschung enorm zugenommen. Forscher*innen und Gleichstellungsakteur*innen werden beschimpft, bedroht und angegriffen. Rechtspopulistische Familienkonzepte gefährden die Gleichstellung und eskalierende Konfrontationen verhindern reflektierte Debatten. Die bukof fordert Solidarität und ein aktives Vorgehen gegen Antifeminismus und für eine offene, demokratische Debattenkultur. Wer Geschlechterpolitik und -forschung die Existenzberechtigung abspricht, greift die Grundwerte der Demokratie, der Wissenschaft und Kunst an.

Hinweis der Redaktion: Unter der Rubrik „Kommentar“ können Menschen, die sich mit dem akademischen System auseinandersetzen, einen Gastbeitrag veröffentlichen. Dies kann eine Beschreibung der eigenen Arbeit, ein Erfahrungsbericht oder ein Kommentar zu einem aktuellen Thema sein. Die Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung von RespectScience e.V. wider.
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Von Humboldt lernen. Weshalb der Rücktritt von Sabine Kunst Schule machen sollte

Der Rücktritt von Sabine Kunst als Präsidentin der Humboldt-Universität Berlin stellt eine Art praktischen Kommentar zum neuen Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) dar. Das bundesweit erste Gesetz, das die miserable Beschäftigungslage des nichtprofessoralen wissenschaftlichen Personals ernsthaft zu verbessern verspricht, qualifiziert die Ex-Präsidenten in ihrer begleitenden, rasch verbreiteten Stellungnahme als „gut gemeint, aber schlecht gemacht“ ab. Der Schritt von Kunst ist bereits breit kommentiert worden. Professor*innen der HU, weitere Hochschulleitungen und der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Peter-André Alt sprechen ihr Bedauern aus und stimmen ihr zu: Die „langfristige Ausgestaltung wissenschaftlicher Karrierewege“ sei eine „strukturelle Herausforderung für das Hochschulsystem“, die sich „nicht durch kurzfristige, unzureichend ausgeformte gesetzliche Neuerungen […] wegregulieren“ lasse (Alt, Kommentar im Zeit-Chancen Newsletter vom 28.10.2021). An der HU und bei ihren Berliner Partner-Universitäten ist man zudem tief besorgt, dass die erst kürzlich offiziell bestätigte und mit viel Fördergeld versehene „exzellente Weiterentwicklung“ des Standorts (Kunst) gefährdet sein könnte.  Nur der Referent*innenrat der HU-Studierenden sieht die Lage anders. Er begrüßt die Berliner Gesetzesnovelle als „wichtige[n] Schritt zur Entprekarisierung des akademischen Mittelbaus“ und hält angesichts seiner Konfliktgeschichte mit der Präsidentin fest: „Wir wünschten, wir könnten uns für die gute Zusammenarbeit bedanken, nur gibt es da leider nichts, wofür wir uns bedanken könnten.“ Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft ist Frau Kunst in jedem Fall dafür dankbar, dass sie neuen, reformbereiteren Kräften in der Hochschulleitung Platz macht. Ihre Argumente und die ihrer Unterstützerschaft sollten allerdings so nicht stehen bleiben.

Die Exzellenzstrategie ist Teil des Problems und nicht Teil irgendeiner Lösung

Die Exzellenzstrategie des Bundes, die bei Frau Kunst als unhinterfragtes Hauptziel gilt – sie erwähnt sie mehrfach und noch vor den „schwierigen Karrierewegen“ – ist eher Teil der Strukturprobleme im deutschen Hochschulsystem, weil sie dem überhitzten Projektwettbewerb eine Art erste Liga gegeben hat. Auch lokal ist sie keine wirkliche Lösung. Die massive finanzielle Förderung, die den Berliner Universitäten nach ihren Erfolgen in der Exzellenzstrategie zukommt, steht ja offenbar nicht für den Ausbau dauerhafter Stellen zur Verfügung, wird also nicht einmal an der vermuteten Spitze zu Verbesserungen beitragen. An anderen Standorten ziehen die Exzellenzbemühungen ebenfalls Probleme nach sich. So bleibt an der Goethe-Universität Frankfurt, nachdem ihr Exzellenzerfolg 2019 geringer ausfiel als geplant (die Präsidentin wechselt gegenwärtig nach Wuppertal), als Effekt nun ein Überhang von Mittelbaustellen ohne Zukunft sowie einige Professuren für Fachgebiete, die man ohne den Exzellenzwettbewerb gar nicht kennen würde.

Das neue BerlHG: Ein wichtiger Schritt von vielen, die noch gegangen werden müssen

Das neue BerlHG, dem Frau Kunst schlechte Presse verschafft, gibt dagegen Anlass zu Hoffnung. Das gilt besonders für den Punkt, an dem die Berliner (Ex-)Hochschulleitungen Anstoß nehmen. Die Regelung, dass PostDocs nur noch mit Entfristungsperspektive eingestellt werden können, ist kein bedauerlicher Fehler, sondern ein großer Schritt in die richtige Richtung (vgl. unsere Stellungnahme vom 9.9.2021). Nachdem über viele Jahre Verbesserungen in der akademischen Beschäftigungsstruktur unmöglich schienen, weil die Verantwortung zwischen den Hochschulleitungen, Ländern und Bund hin- und hergeschoben wurde, trifft nun ein Land endlich eine Entscheidung und setzt die Hochschulen in Zugzwang. Sie müssen mit dem strukturellen Umbau beginnen und zugleich von Bund und Ländern Mittel dafür einfordern. Beides, der Strukturwandel und seine Finanzierung, ist wichtig und wünschenswert. Der Bund muss, nachdem er mit dem Zukunftsvertrag Lehre stark in die Hochschulfinanzierung eingestiegen ist, jetzt auch ein nachhaltiges Beschäftigungssystem mitgestalten. Die Länder können sich nun nicht mehr mit ihren tatsächlich engen finanziellen Spielräumen entschuldigen. Wenn beide sich wieder von Projekt- auf Grundfinanzierung umorientieren, bleibt der nötige Mittelaufwuchs sogar überschaubar.

Zugleich sollten weitere Länder dem Vorbild Berlins folgen und Anreize für eine personelle Erneuerung der Hochschulleitungen setzen. Die Hochschulen werden im Strudel der anstehenden Veränderungen auch Reform- und Identitätsarbeit nach innen leisten müssen: Sie müssen die Privilegien der mutmaßlich ‚exzellenten‘ Professor:innen abbauen und für ein gleichberechtigtes Miteinander aller wissenschaftlichen Beschäftigten sorgen. So lässt sich nicht nur eine dringend nötige Demokratisierung erreichen, sondern auch Raum für Kooperationen und Erkenntnisse schaffen, an denen alle klugen Köpfe einer Hochschule beteiligt sind.

Für einen solchen Wandel ist mehr als ein Rücktritt nötig – zumal ja nicht sicher ist, dass unmittelbar reformfähige Führungskräfte nachkommen. Nachdem sich vielleicht nicht zufällig eine weibliche Führungsperson konsequent die Verantwortungsfrage gestellt hat, wäre ähnliche Konsequenz auch von ihren männlichen Kollegen zu wünschen. Wenn sie nicht bereit oder fähig sind, den Umgang der deutschen Hochschulen mit ihrem nichtprofessoralen Personal strukturell zu verbessern, sollten sie ihren Platz für andere freimachen, denen das besser gelingt. Sie werden dadurch in der Regel nicht in berufliche Existenznot geraten.

Die Autor:innen
Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) ist ein offener, überregionaler Zusammenschluss von Mittelbauinitiativen und Einzelpersonen aus dem akademischen Mittelbau. Wir setzen uns für Gute Arbeit in der Wissenschaft für all ihre Angehörigen  und die umfassende Demokratisierung von Hochschule und Forschung ein. Wir verstehen uns zugleich als Interessensvertretung und Stimme des Mittelbaus.

Quelle: Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft | Von Humboldt lernen. Weshalb der Rücktritt von Sabine Kunst Schule machen sollte (mittelbau.net)

Hinweis der Redaktion: Unter der Rubrik „Kommentar“ können Menschen, die sich mit dem akademischen System auseinandersetzen, einen Gastbeitrag veröffentlichen. Dies kann eine Beschreibung der eigenen Arbeit, ein Erfahrungsbericht oder ein Kommentar zu einem aktuellen Thema sein. Die Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung von RespectScience e.V. wider.
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Das Dilemma der notwendigen und hinreichenden Bedingung

Von Dr. Charlotte Förster

2019 stand ich am Tiefpunkt meiner bisherigen Karriere. Nachdem ich drei Jahre erfolgreich auf einer für zweieinhalb Jahre befristeten 50-Prozent-Stelle promoviert hatte, suchte ich nun eine Stelle als Nachwuchswissenschaftlerin. In meinem Bewerbungsprozess sah ich mich schnell mit zwei Problemen konfrontiert: meine relativ kurze Promotionszeit und das Problem der internen Stellenvergabe beziehungsweise der Ausschreibungspflicht.

Das erste Problem bezieht sich auf das Publizieren. Um in der Wissenschaft erfolgreich zu sein, braucht es insbesondere zweierlei und davon besonders viel: Publikationen und eingeworbene Drittmittel. Um hochrangige  Publikationen zu erzielen, muss man durch ein sogenanntes doppelt verblindetes Peer Review Verfahren. Dieses Verfahren hat natürlich seine Berechtigung, braucht allerdings vor allem eines: Zeit. Da das Verfahren auf einer freiwilligen Kooperation beruht, müssen für jeden Begutachtungsprozess zwei oder drei fachverwandte Kolleg*innen gefunden werden, die sich die Zeit für eine solche Begutachtung nehmen und ein entsprechendes Gutachten schreiben. Insbesondere inmitten der Pandemie ist diese Bereitschaft verständlicherweise deutlich zurückgegangen, was die teilweise schon vor der Pandemie sehr langen Review Prozesse von mehr als einem halben Jahr pro Runde zusätzlich verlangsamt hat. Für (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen und die, die es noch werden wollen, hat das allerdings durchaus schwerwiegende Konsequenzen, da eine Bewerbung ohne gute Publikationen besonders schwierig ist. Eine mittel rangige Publikation kann durchaus drei bis vier Jahre in Anspruch nehmen, bevor sie veröffentlicht wird. Eine hochrangige Publikation sogar deutlich länger. Für Nachwuchswissenschaftler*innen wie mich, die aufgrund der Stellenbefristung relativ schnell promoviert haben, ist dies ein echtes Problem.

Das zweite Problem, mit dem ich mich in meinem Bewerbungsprozess konfrontiert sah, ist das System der Stellenvergabe. Alle Stellen und Förderungen müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Dies betrifft auch Stellen, die bereits intern vergeben wurden. Im Prinzip ist es auch verständlich, dass Stellen wie beispielsweise Postdoc-Stellen, die ein hohes Vertrauensverhältnis voraussetzen, auch intern vergeben werden können – die Wirtschaft tut dies schließlich auch. Die interne Stellenvergabe bei gleichzeitiger Ausschreibungspflicht führt allerdings zu einem erheblichen Mehraufwand für alle Beteiligten und besonders auf Seiten der Bewerber*innen.

Letztendlich hatte ich in meiner bisherigen wissenschaftlichen Karriere vier primäre Jobs. Ich war dreimal wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die erste Stelle war zu 50 Prozent vergütet und auf zweieinhalb Jahre befristet, die zweite zu 75 Prozent vergütet und auf 7 Monate befristet. Die dritte Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ohne Lehrverpflichtung und selbst eingeworben, war auf ein Jahr befristet. Wenn die Pandemie und der damit einhergehende Lockdown nicht gekommen wären, hätte ich für diese Stelle sogar ins Ausland ziehen müssen. Am Peak meiner Frustration während des Bewerbungsmarathons wendete ich mich an Die Zeit und schilderte meine Geschichte. Da die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, insbesondere in Bezug auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), seit Jahren ein großes Problem sind, schlug ich vor, der Thematik einen Artikel zu widmen. Die Zeit hatte nach eingehender Beratung allerdings kein Interesse an diesem Thema. Mein Bewerbungsmarathon endete dann fürs Erste mit einer Stelle als Juniorprofessorin und ging somit für mich vergleichsweise gut aus. Die Alternative, in die Wirtschaft zu gehen, ist leider auch eher theoretischer Natur. Denn mit 30 Jahren, weiblich, Doktorin und kinderfrei ist man für die Wirtschaft vor allem eins: überqualifiziert und dazu noch ein enormes Risiko.

Mit Beginn meiner Position als Juniorprofessorin intensivierte sich dann auch zunehmend das Dilemma der notwendigen und hinreichenden Bedingung. Neben des bereits erwähnten, und in Anbetracht einer möglichen zukünftigen Stelle besonders hohem Publikationsdrucks, haben (Junior-)Professor*innen natürlich auch ihre regulären Verpflichtungen, bestehend aus Lehre, Gremienarbeit und Verwaltung. Da Juniorprofessor*innen nicht die Möglichkeit eines Forschungssemesters haben und auch allgemein weniger Unterstützung in verwaltungstechnischen Fragen bekommen, bleiben für die Forschung (trotz reduziertem Lehrdeputat) nur die Wochenenden sowie natürlich die vorlesungsfreie Zeit. Das schlägt langfristig auf die Gesundheit, da für Entspannung an den Wochenenden oder im Urlaub eigentlich kaum Zeit bleibt. Lösen lässt sich das Problem allerdings nur bedingt, da Lehre und Verwaltung ein fester und sehr zeitintensiver Bestandteil sind (hinreichende Bedingung), wohingegen Forschung und Drittmittel unsere Eintrittskarte in die unbefristete Vollprofessur sind (notwendige Bedingung). Wenn wir also auf unsere Gesundheit und Work-Life-Balance achten, müssen wir notgedrungen die Forschung und das Schreiben von Drittmittelanträgen vernachlässigen – und schmälern somit unsere Chancen für die Vollprofessur erheblich. Die Universität hingegen muss in diesem Szenario Kandidat*innen wählen, welche objektiv gesehen die meisten Publikationen und Drittmittel eingeworben haben und somit auch die Kandidat*innen, die gegebenenfalls weniger auf die Work-Life-Balance und damit die Gesundheit achten. Aus meiner Perspektive ist dies eines der zentralen Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Zuzüglich hierzu arbeiten (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen in einem Umfeld, das von Weber sehr treffend als das stahlharte Gehäuse der Bürokratie bezeichnet wurde: die Verwaltung. Um hochrangig publizieren zu können, müssen wir nicht nur die Literatur gut kennen und einfallsreiche Ideen haben, sondern auch methodisch fit und gut vernetzt sein. Wir müssen reisen, um an Methodenkursen teilnehmen zu können, unsere Forschungsergebnisse vorzustellen und diskutieren zu können sowie neue Kontakte zu knüpfen. Unsere Community ist nicht sonderlich groß, aber international weit gestreut, sodass Reisen ein wesentlicher Bestandteil ist, um ein internationales Forschungsnetzwerk aufzubauen. Grundlage jeder Dienstreise sind die jeweils herrschenden gesetzlichen und universitären Bedingungen. In Sachsen bildet diese Grundlage das sächsische Reisekostengesetzt . Die Dienstreisekostenabrechnung ist einer der kompliziertesten Verwaltungsaufgaben und endet häufig mit einem gewissen Betrag, der mit Berufung auf das oben erwähnte Gesetz nicht übernommen werden kann. Dementsprechend müssen die Kosten dann privat getragen werden. Da wir aber auf einen internationalen Austausch angewiesen sind, konfrontiert uns diese häufig nicht vollständige Kostenübernahme wiederum mit einem neuen Dilemma. Zur Veranschaulichung: Bei meiner letzten Dienstreise in die USA wurde ein beträchtlicher Anteil der Kosten in Höhe von circa 600 Euro nicht übernommen. Die Differenz begründete sich insbesondere darin, dass mir beim Hotelvergleich ein kleiner Fehler unterlaufen war und die eigentlich zugrunde liegende Referenztabelle seit 2017 nicht mehr aktualisiert wurde . Fehler seitens der Verwaltung werden hingegen deutlich weniger streng gehandelt, auch wenn diese zu einem nicht unerheblichen Mehraufwand für uns (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen führen. Dieser Mehraufwand führt wiederum zu weniger Zeit für die Forschung. Um das Forschungspensum und dementsprechend auch unserer Publikationspensum dennoch zu schaffen, bleiben folglich wieder nur die Wochenenden und der Urlaub. Dies wirkt sich negativ auf die Work-Life-Balance und damit die Gesundheit aus. Dass Juniorprofessor*innen zunächst nicht berücksichtigt wurden, als alle anderen befristeten Stellen bedingt durch die Corona-Pandie um ein halbes Jahr bis Jahr verlängert wurden,  spiegelt den Stellenwert von Juniorprofessor*innen im akademischen System wider. Auch wenn dies nun korrigiert wurde – ein Jahr nach der Antragstellung auf Gleichstellung –  betrifft die Gleichstellung  nur Verträge, die vor dem 31.03.2021 geschlossen wurden. Personen wie ich, die beispielsweise im April 2021 und unter strengsten COVID-19-Maßnahmen ihre Stelle angetreten haben, betrifft dies nicht. Eine inhaltliche Erläuterung des Stichtages bleibt wie so häufig im akademischen System aus.

Anmerkung der Autorin: Es handelt sich hierbei um einen individuellen Erfahrungsbericht. In Disziplinen außerhalb der Wirtschaftswissenschaften und in anderen Ländern, gegebenenfalls sogar in anderen Bundesländern oder bei privaten Hochschulen, mag es eventuell ganz andere Probleme geben.

Autorin
Dr. Charlotte Förster ist Juniorprofessorin für Europäisches Management an der Technischen Universität Chemnitz. Promoviert hat Charlotte Förster an der Technischen Universität Dresden zum Thema Resilienz von Führungskräften. Derzeit erforscht sie die Resilienz von Krankenhäusern und ihren Mitarbeitenden, um auf diese Weise wichtige Implikationen für ein zukünftiges Krisen- und Pandemiemanagement im Gesundheitssektor abzuleiten.

Hinweis der Redaktion: Unter der Rubrik „Kommentar“ können Menschen, die sich mit dem akademischen System auseinandersetzen, einen Gastbeitrag veröffentlichen. Dies kann eine Beschreibung der eigenen Arbeit, ein Erfahrungsbericht oder ein Kommentar zu einem aktuellen Thema sein. Die Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung von RespectScience e.V. wider.
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Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestlaufzeiten für Zeitverträge!

Hintergrundinformation: Seit das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) am 12. April 2007 erlassen wurde, nimmt die Anzahl der Kritiker:innen stetig zu. Denn die dadurch resultierenden befristeten Verträge für wissenschaftliches Personal führen zu erschwerten Bedingungen im wissenschaftlichen Betrieb. Im Rahmen der Novellierung des WissZeitVG im Jahre 2016 wurde in § 8 festgelegt, „die Auswirkungen dieses Gesetzes im Jahr 2020 zu evaluieren“ . Zwei Jahre hat die Evaluierung gedauert und im Kommentar bezieht Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Stellung zu den Ergebnissen, die am 20. Mai 2022 veröffentlicht wurden.

Acht-Punkte-Programm der GEW für Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft

von Andreas Keller

Viel zu viele Zeitverträge mit viel zu kurzen Laufzeiten – die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von 2016 war zwar gut gemeint, ist aber so gut wie wirkungslos. Das hat die Evaluation der Auswirkungen der Novelle ergeben, die die Forschungsinstitute INTERVAL und HIS-HE im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt und am 20. Mai 2022 veröffentlicht haben .
Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen
ist mit 84 Prozent an den Universitäten und 78 Prozent an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) so hoch wie vor Inkrafttreten der Novelle, heißt es im Evaluationsbericht. Die Geltungsdauer der Zeitverträge fielen nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Niveau vor 2017 zurück. An den Universitäten liegt die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei 18 Monaten, an den HAW bei 15 Monaten. 2020 hatten an den Universitäten 42 Prozent, an Hochschulen für angewandte Wissenschaften 45 Prozent der befristeten Arbeitsverträge eine Laufzeit von unter einem Jahr.

Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt: Sie hat weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen eingedämmt. Jetzt gibt es für die Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger (FDP) keine Ausrede mehr, die von ihrer Vorgängerin Anja Karliczek (CDU) verschleppte überfällige Reform des Gesetzes anzupacken. Wir brauchen eine radikale Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft, die Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestlaufzeiten für Zeitverträge und einen verbindlichen Nachteilsausgleich durchsetzt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat daher im Rahmen ihrer Konferenz „Schluss mit hire and fire! Das WisszeitVG auf dem Prüfstand“ am 3. Juni 2022 in Berlin ein Acht-Punkte-Programm für ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ vorgelegt, welches das WissZeitVG ablösen soll.

Die Gesetzesevaluation hat offengelegt, dass die Wissenschaftsarbeitgeber praktisch jede wissenschaftliche Tätigkeit als „Qualifizierung“ ansehen. Denn das geltende WissZeitVG erlaubt Zeitverträge, sofern diese die wissenschaftliche Qualifizierung fördern. Das hat zur Folge, dass einer willkürlichen Befristungspraxis Tür und Tor geöffnet wird. Dem muss der Gesetzgeber einen Riegel vorschieben. Er muss klipp und klar regeln, dass Befristungen nur dann zulässig sind, wenn sie eine präzise im Gesetz definierte wissenschaftliche Qualifizierung wie die Promotion fördern.
Verbindliche Mindestvertragslaufzeiten müssen sicherstellen, dass die Qualifizierung tatsächlich erfolgreich abgeschlossen werden kann. Die GEW plädiert für eine Orientierung an der bisherigen Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren (Regellaufzeit). Zusätzlich sollten vier Jahre nicht unterschritten werden dürfen (Mindestlaufzeit). Nach der Promotion sollte eine Befristung allenfalls in Verbindung mit einem Tenure Track oder einer Anschlusszusage nach dem Vorbild des Berliner Hochschulgesetzes gerechtfertigt sein, also wenn das Beschäftigungsverhältnis mit Erreichen des Qualifizierungsziels entfristet wird.

Weiter muss der Gesetzgeber gleiche Chancen für alle Wissenschaftlerinnen durchsetzen. Für befristet Beschäftigte, die Kinder betreuen, pandemiebedingte Beeinträchtigungen erlebt haben oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben, muss es im Sinne eines Nachteilsausgleichs einen verbindlichen Anspruch auf Vertragsverlängerung geben. Eine weitere Forderung der GEW ist die ersatzlose Streichung der Tarifsperre aus dem Gesetz. Es ist absurd, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften keine sachgerechten Befristungsregelungen für Wissenschaftlerinnen aushandeln dürfen. Geben Sie Tariffreiheit, Frau Ministerin!

Schließlich setzt sich die GEW für die Absicherung und Gleichstellung von Drittmittelbeschäftigten, für die Herausnahme von Lehrkräften und Wissenschaftsmanager*innen aus dem Geltungsbereich des Gesetzes sowie für die Aufhebung der Höchstbefristungsdauer für studentische Beschäftigte und stattdessen die Verankerung einer Mindestlaufzeit im neuen „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ ein.

Das Acht-Punkte-Programm im Wortlaut.
Bericht und Videoaufzeichnung von der Konferenz am 3. Juni.

Autor
Dr. Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW

Hinweis der Redaktion: Unter der Rubrik „Kommentar“ können Menschen, die sich mit dem akademischen System auseinandersetzen, einen Gastbeitrag veröffentlichen. Dies kann eine Beschreibung der eigenen Arbeit, ein Erfahrungsbericht oder ein Kommentar zu einem aktuellen Thema sein. Die Inhalte spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung von RespectScience e.V. wider.
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Selbstverständnis

Bild: RespectScience

RespectScience e. V. besteht aus einem interdisziplinären Team aus Studierenden und Promovierenden und versteht sich als aktiver Teil des Wissenschaftssystems auf verschiedenen Ebenen. Sie haben bereits Berührungspunkte mit den unterschiedlichen Kernproblemen jenes Systems gehabt und die vorherrschende hohe Arbeitsbelastung erfahren. Ungerade Bildungswege, Bildungsungerechtigkeit, Benachteiligung aufgrund von Herkunft und Geschlecht – das alles umfasst RespectScience persönlichen Erfahrungshorizont. Der Verein hat durch seine Interdisziplinarität Einblicke in verschiedene innere fachspezifische Spannungsfelder, jedoch kann er nicht alle Fachbereiche aus seinem direkten Erfahrungsschatz abdecken. Dies umfasst beispielsweise die Hürden des Systems für Menschen mit Behinderung, Studierende und Beschäftigte mit großen familiären Verantwortungen und die Langzeitarbeitsbelastung im System. Deshalb erweitert RespectScience seinen Wissenstand immer wieder durch externe Erfahrungsberichte und die Beratung von Expert:innen.

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