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Kommentar

Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestlaufzeiten für Zeitverträge!

Hintergrundinformation: Seit das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) am 12. April 2007 erlassen wurde, nimmt die Anzahl der Kritiker:innen stetig zu. Denn die dadurch resultierenden befristeten Verträge für wissenschaftliches Personal führen zu erschwerten Bedingungen im wissenschaftlichen Betrieb. Im Rahmen der Novellierung des WissZeitVG im Jahre 2016 wurde in § 8 festgelegt, „die Auswirkungen dieses Gesetzes im Jahr 2020 zu evaluieren“ . Zwei Jahre hat die Evaluierung gedauert und im Kommentar bezieht Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Stellung zu den Ergebnissen, die am 20. Mai 2022 veröffentlicht wurden.

Acht-Punkte-Programm der GEW für Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft

von Andreas Keller

Viel zu viele Zeitverträge mit viel zu kurzen Laufzeiten – die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von 2016 war zwar gut gemeint, ist aber so gut wie wirkungslos. Das hat die Evaluation der Auswirkungen der Novelle ergeben, die die Forschungsinstitute INTERVAL und HIS-HE im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt und am 20. Mai 2022 veröffentlicht haben .
Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen
ist mit 84 Prozent an den Universitäten und 78 Prozent an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) so hoch wie vor Inkrafttreten der Novelle, heißt es im Evaluationsbericht. Die Geltungsdauer der Zeitverträge fielen nach einem vorübergehenden Anstieg wieder auf das Niveau vor 2017 zurück. An den Universitäten liegt die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei 18 Monaten, an den HAW bei 15 Monaten. 2020 hatten an den Universitäten 42 Prozent, an Hochschulen für angewandte Wissenschaften 45 Prozent der befristeten Arbeitsverträge eine Laufzeit von unter einem Jahr.

Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt: Sie hat weder unsachgemäße Befristung noch Kurzzeitbefristungen eingedämmt. Jetzt gibt es für die Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger (FDP) keine Ausrede mehr, die von ihrer Vorgängerin Anja Karliczek (CDU) verschleppte überfällige Reform des Gesetzes anzupacken. Wir brauchen eine radikale Reform des Befristungsrechts in der Wissenschaft, die Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestlaufzeiten für Zeitverträge und einen verbindlichen Nachteilsausgleich durchsetzt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat daher im Rahmen ihrer Konferenz „Schluss mit hire and fire! Das WisszeitVG auf dem Prüfstand“ am 3. Juni 2022 in Berlin ein Acht-Punkte-Programm für ein „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ vorgelegt, welches das WissZeitVG ablösen soll.

Die Gesetzesevaluation hat offengelegt, dass die Wissenschaftsarbeitgeber praktisch jede wissenschaftliche Tätigkeit als „Qualifizierung“ ansehen. Denn das geltende WissZeitVG erlaubt Zeitverträge, sofern diese die wissenschaftliche Qualifizierung fördern. Das hat zur Folge, dass einer willkürlichen Befristungspraxis Tür und Tor geöffnet wird. Dem muss der Gesetzgeber einen Riegel vorschieben. Er muss klipp und klar regeln, dass Befristungen nur dann zulässig sind, wenn sie eine präzise im Gesetz definierte wissenschaftliche Qualifizierung wie die Promotion fördern.
Verbindliche Mindestvertragslaufzeiten müssen sicherstellen, dass die Qualifizierung tatsächlich erfolgreich abgeschlossen werden kann. Die GEW plädiert für eine Orientierung an der bisherigen Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren (Regellaufzeit). Zusätzlich sollten vier Jahre nicht unterschritten werden dürfen (Mindestlaufzeit). Nach der Promotion sollte eine Befristung allenfalls in Verbindung mit einem Tenure Track oder einer Anschlusszusage nach dem Vorbild des Berliner Hochschulgesetzes gerechtfertigt sein, also wenn das Beschäftigungsverhältnis mit Erreichen des Qualifizierungsziels entfristet wird.

Weiter muss der Gesetzgeber gleiche Chancen für alle Wissenschaftlerinnen durchsetzen. Für befristet Beschäftigte, die Kinder betreuen, pandemiebedingte Beeinträchtigungen erlebt haben oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben, muss es im Sinne eines Nachteilsausgleichs einen verbindlichen Anspruch auf Vertragsverlängerung geben. Eine weitere Forderung der GEW ist die ersatzlose Streichung der Tarifsperre aus dem Gesetz. Es ist absurd, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften keine sachgerechten Befristungsregelungen für Wissenschaftlerinnen aushandeln dürfen. Geben Sie Tariffreiheit, Frau Ministerin!

Schließlich setzt sich die GEW für die Absicherung und Gleichstellung von Drittmittelbeschäftigten, für die Herausnahme von Lehrkräften und Wissenschaftsmanager*innen aus dem Geltungsbereich des Gesetzes sowie für die Aufhebung der Höchstbefristungsdauer für studentische Beschäftigte und stattdessen die Verankerung einer Mindestlaufzeit im neuen „Wissenschaftsentfristungsgesetz“ ein.

Das Acht-Punkte-Programm im Wortlaut.
Bericht und Videoaufzeichnung von der Konferenz am 3. Juni.

Autor
Dr. Andreas Keller ist stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW

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