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Kommentar

Das Dilemma der notwendigen und hinreichenden Bedingung

Von Dr. Charlotte Förster

2019 stand ich am Tiefpunkt meiner bisherigen Karriere. Nachdem ich drei Jahre erfolgreich auf einer für zweieinhalb Jahre befristeten 50-Prozent-Stelle promoviert hatte, suchte ich nun eine Stelle als Nachwuchswissenschaftlerin. In meinem Bewerbungsprozess sah ich mich schnell mit zwei Problemen konfrontiert: meine relativ kurze Promotionszeit und das Problem der internen Stellenvergabe beziehungsweise der Ausschreibungspflicht.

Das erste Problem bezieht sich auf das Publizieren. Um in der Wissenschaft erfolgreich zu sein, braucht es insbesondere zweierlei und davon besonders viel: Publikationen und eingeworbene Drittmittel. Um hochrangige  Publikationen zu erzielen, muss man durch ein sogenanntes doppelt verblindetes Peer Review Verfahren. Dieses Verfahren hat natürlich seine Berechtigung, braucht allerdings vor allem eines: Zeit. Da das Verfahren auf einer freiwilligen Kooperation beruht, müssen für jeden Begutachtungsprozess zwei oder drei fachverwandte Kolleg*innen gefunden werden, die sich die Zeit für eine solche Begutachtung nehmen und ein entsprechendes Gutachten schreiben. Insbesondere inmitten der Pandemie ist diese Bereitschaft verständlicherweise deutlich zurückgegangen, was die teilweise schon vor der Pandemie sehr langen Review Prozesse von mehr als einem halben Jahr pro Runde zusätzlich verlangsamt hat. Für (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen und die, die es noch werden wollen, hat das allerdings durchaus schwerwiegende Konsequenzen, da eine Bewerbung ohne gute Publikationen besonders schwierig ist. Eine mittel rangige Publikation kann durchaus drei bis vier Jahre in Anspruch nehmen, bevor sie veröffentlicht wird. Eine hochrangige Publikation sogar deutlich länger. Für Nachwuchswissenschaftler*innen wie mich, die aufgrund der Stellenbefristung relativ schnell promoviert haben, ist dies ein echtes Problem.

Das zweite Problem, mit dem ich mich in meinem Bewerbungsprozess konfrontiert sah, ist das System der Stellenvergabe. Alle Stellen und Förderungen müssen öffentlich ausgeschrieben werden. Dies betrifft auch Stellen, die bereits intern vergeben wurden. Im Prinzip ist es auch verständlich, dass Stellen wie beispielsweise Postdoc-Stellen, die ein hohes Vertrauensverhältnis voraussetzen, auch intern vergeben werden können – die Wirtschaft tut dies schließlich auch. Die interne Stellenvergabe bei gleichzeitiger Ausschreibungspflicht führt allerdings zu einem erheblichen Mehraufwand für alle Beteiligten und besonders auf Seiten der Bewerber*innen.

Letztendlich hatte ich in meiner bisherigen wissenschaftlichen Karriere vier primäre Jobs. Ich war dreimal wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die erste Stelle war zu 50 Prozent vergütet und auf zweieinhalb Jahre befristet, die zweite zu 75 Prozent vergütet und auf 7 Monate befristet. Die dritte Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin, ohne Lehrverpflichtung und selbst eingeworben, war auf ein Jahr befristet. Wenn die Pandemie und der damit einhergehende Lockdown nicht gekommen wären, hätte ich für diese Stelle sogar ins Ausland ziehen müssen. Am Peak meiner Frustration während des Bewerbungsmarathons wendete ich mich an Die Zeit und schilderte meine Geschichte. Da die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, insbesondere in Bezug auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), seit Jahren ein großes Problem sind, schlug ich vor, der Thematik einen Artikel zu widmen. Die Zeit hatte nach eingehender Beratung allerdings kein Interesse an diesem Thema. Mein Bewerbungsmarathon endete dann fürs Erste mit einer Stelle als Juniorprofessorin und ging somit für mich vergleichsweise gut aus. Die Alternative, in die Wirtschaft zu gehen, ist leider auch eher theoretischer Natur. Denn mit 30 Jahren, weiblich, Doktorin und kinderfrei ist man für die Wirtschaft vor allem eins: überqualifiziert und dazu noch ein enormes Risiko.

Mit Beginn meiner Position als Juniorprofessorin intensivierte sich dann auch zunehmend das Dilemma der notwendigen und hinreichenden Bedingung. Neben des bereits erwähnten, und in Anbetracht einer möglichen zukünftigen Stelle besonders hohem Publikationsdrucks, haben (Junior-)Professor*innen natürlich auch ihre regulären Verpflichtungen, bestehend aus Lehre, Gremienarbeit und Verwaltung. Da Juniorprofessor*innen nicht die Möglichkeit eines Forschungssemesters haben und auch allgemein weniger Unterstützung in verwaltungstechnischen Fragen bekommen, bleiben für die Forschung (trotz reduziertem Lehrdeputat) nur die Wochenenden sowie natürlich die vorlesungsfreie Zeit. Das schlägt langfristig auf die Gesundheit, da für Entspannung an den Wochenenden oder im Urlaub eigentlich kaum Zeit bleibt. Lösen lässt sich das Problem allerdings nur bedingt, da Lehre und Verwaltung ein fester und sehr zeitintensiver Bestandteil sind (hinreichende Bedingung), wohingegen Forschung und Drittmittel unsere Eintrittskarte in die unbefristete Vollprofessur sind (notwendige Bedingung). Wenn wir also auf unsere Gesundheit und Work-Life-Balance achten, müssen wir notgedrungen die Forschung und das Schreiben von Drittmittelanträgen vernachlässigen – und schmälern somit unsere Chancen für die Vollprofessur erheblich. Die Universität hingegen muss in diesem Szenario Kandidat*innen wählen, welche objektiv gesehen die meisten Publikationen und Drittmittel eingeworben haben und somit auch die Kandidat*innen, die gegebenenfalls weniger auf die Work-Life-Balance und damit die Gesundheit achten. Aus meiner Perspektive ist dies eines der zentralen Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Zuzüglich hierzu arbeiten (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen in einem Umfeld, das von Weber sehr treffend als das stahlharte Gehäuse der Bürokratie bezeichnet wurde: die Verwaltung. Um hochrangig publizieren zu können, müssen wir nicht nur die Literatur gut kennen und einfallsreiche Ideen haben, sondern auch methodisch fit und gut vernetzt sein. Wir müssen reisen, um an Methodenkursen teilnehmen zu können, unsere Forschungsergebnisse vorzustellen und diskutieren zu können sowie neue Kontakte zu knüpfen. Unsere Community ist nicht sonderlich groß, aber international weit gestreut, sodass Reisen ein wesentlicher Bestandteil ist, um ein internationales Forschungsnetzwerk aufzubauen. Grundlage jeder Dienstreise sind die jeweils herrschenden gesetzlichen und universitären Bedingungen. In Sachsen bildet diese Grundlage das sächsische Reisekostengesetzt . Die Dienstreisekostenabrechnung ist einer der kompliziertesten Verwaltungsaufgaben und endet häufig mit einem gewissen Betrag, der mit Berufung auf das oben erwähnte Gesetz nicht übernommen werden kann. Dementsprechend müssen die Kosten dann privat getragen werden. Da wir aber auf einen internationalen Austausch angewiesen sind, konfrontiert uns diese häufig nicht vollständige Kostenübernahme wiederum mit einem neuen Dilemma. Zur Veranschaulichung: Bei meiner letzten Dienstreise in die USA wurde ein beträchtlicher Anteil der Kosten in Höhe von circa 600 Euro nicht übernommen. Die Differenz begründete sich insbesondere darin, dass mir beim Hotelvergleich ein kleiner Fehler unterlaufen war und die eigentlich zugrunde liegende Referenztabelle seit 2017 nicht mehr aktualisiert wurde . Fehler seitens der Verwaltung werden hingegen deutlich weniger streng gehandelt, auch wenn diese zu einem nicht unerheblichen Mehraufwand für uns (Nachwuchs-)wissenschaftler*innen führen. Dieser Mehraufwand führt wiederum zu weniger Zeit für die Forschung. Um das Forschungspensum und dementsprechend auch unserer Publikationspensum dennoch zu schaffen, bleiben folglich wieder nur die Wochenenden und der Urlaub. Dies wirkt sich negativ auf die Work-Life-Balance und damit die Gesundheit aus. Dass Juniorprofessor*innen zunächst nicht berücksichtigt wurden, als alle anderen befristeten Stellen bedingt durch die Corona-Pandie um ein halbes Jahr bis Jahr verlängert wurden,  spiegelt den Stellenwert von Juniorprofessor*innen im akademischen System wider. Auch wenn dies nun korrigiert wurde – ein Jahr nach der Antragstellung auf Gleichstellung –  betrifft die Gleichstellung  nur Verträge, die vor dem 31.03.2021 geschlossen wurden. Personen wie ich, die beispielsweise im April 2021 und unter strengsten COVID-19-Maßnahmen ihre Stelle angetreten haben, betrifft dies nicht. Eine inhaltliche Erläuterung des Stichtages bleibt wie so häufig im akademischen System aus.

Anmerkung der Autorin: Es handelt sich hierbei um einen individuellen Erfahrungsbericht. In Disziplinen außerhalb der Wirtschaftswissenschaften und in anderen Ländern, gegebenenfalls sogar in anderen Bundesländern oder bei privaten Hochschulen, mag es eventuell ganz andere Probleme geben.

Autorin
Dr. Charlotte Förster ist Juniorprofessorin für Europäisches Management an der Technischen Universität Chemnitz. Promoviert hat Charlotte Förster an der Technischen Universität Dresden zum Thema Resilienz von Führungskräften. Derzeit erforscht sie die Resilienz von Krankenhäusern und ihren Mitarbeitenden, um auf diese Weise wichtige Implikationen für ein zukünftiges Krisen- und Pandemiemanagement im Gesundheitssektor abzuleiten.

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