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Kommentar

Psychische Erkrankungen im Studium: Betroffene sind nicht allein

“Psychisch krank?! – Ich doch nicht!”, so habe ich auch gedacht, als mir 2021 „der Stecker gezogen wurde“ und ich plötzlich keine Kraft mehr hatte, das Bett zu verlassen, obwohl ich sonst stets quicklebendig, gut gelaunt und fleißig war. Nicht ohne Grund wird Depression mit einem GdB (Grad der Behinderung) bewertet. Je nach Symptomausprägung kann der GdB auch höher als 50 sein und somit würde man von einer Schwerbehinderung sprechen (vgl. DAV 2018). Vielen Betroffenen wird ihre Erkrankung dennoch bis heute als „Anstellerei“ angekreidet und mit Sprüchen wie „Geh mal an die frische Luft!“ abgetan. Natürlich denkt man bei Behinderung zunächst an körperliche Einschränkungen, die gerne salopp mit Sprüchen wie „Du bist doch behindert!“ verharmlost werden. Dabei gibt es, wie oben beschrieben, so viel mehr als das.

Leider sorgen Begriffe wie „Schizophrenie“ oder „bipolare Störung“ nach wie vor für Erschrecken und Panik – was nicht zuletzt auch ein wenig an reißerischer Pressearbeit
(Ironie off) liegt. Obwohl die Häufigkeit derartiger psychiatrischer Störungen auf den ersten Blick relativ gering scheint: An psychotischen Erkrankungen sind circa 2,6 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung erkrankt. Eine bipolare Störung hat circa 1,5 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung (vgl. Jacobi et al. 2014). In absoluten Zahlen gesprochen fällt die Häufigkeit schon deutlich eindrucksvoller aus: In Deutschland gibt es insgesamt fast 2,7 Millionen Betroffene, allein unter den genannten Diagnosen. Somit wäre mehr als ganz Hamburg betroffen. Und damit erübrigt sich schon einmal die Befürchtung einiger Betroffene, mit der Erkrankung allein zu sein. Auch wenn es sich anders anfühlt und immer wieder die Gedanken kommen “ich bin am schlimmsten dran” und “genau für mich gibt es keine Hilfe”, sieht die Realität anders aus.

Die Tabuisierung der Depression

Nun habe ich bewusst die Depression in meiner obigen Aufzählung ausgelassen, da dank viel Aufklärungsarbeit Depression kaum noch ein Tabuthema ist – da können wir ach so arbeitsscheuen „GenZ-ler“ uns auf die Schultern klopfen, denn im Vergleich zu mancher Vorgänger-Generation reden wir ehrlich(er) über unsere Befindlichkeiten.

Besonders bei Studierenden scheint das Thema nicht nur eine „Nischengruppe“ zu betreffen – im Gegenteil: Im Herbst 2021 gab es an der RWTH Aachen eine Umfrage unter 2900 Studierenden, die die eigene mentale Befassung auf Basis eines Fragebogens bewerten sollten. Dabei kam heraus, dass etwa 34,8 Prozent als psychisch auffällig zu bezeichnen waren und 61 Prozent der Studierenden die eigene mentale Gesundheit als schlecht angegeben haben (vgl. SGM 2021). Das ist fast jede zweite Person.

Die Befragung fand während der Corona-Pandemie statt. Bestimmte Ergebnisse könnten daher verzerrt sein, dennoch wird klar: Die Thematik muss genauer unter die Lupe genommen werden. Psychische Störungen sind leider „auf dem Vormarsch“ und das trotz technischen und medizinischen Fortschritts – ein Paradox?

Ich weiß, wovon ich rede, da ich selbst nach einem zweijährigen Maschinenbaustudium in 2021 an einer schweren Depression erkrankte und die Krankheit mich bis heute in schweren und milderen Episoden begleitet. Und ich kann sagen, wenn jemand dir offenbart, dass er oder sie an Depression erkrankt ist und du denkst: „Stell dich nicht so an!“, dann denke daran, dass dein Gegenüber vermutlich gerade jeden Tag kämpft und keinerlei Kraft dafür hat, auch nur morgens aus dem Bett zu kommen. Depressionen sind nicht nur eine potenziell tödliche Erkrankung, sondern auch mit einem unvorstellbaren Leid verknüpft. Außerdem belaufen sich die jährlichen Kosten in Deutschland aufgrund von Behandlungen und Arbeitsausfällen psychischer Erkrankungen auf etwa 42 Milliarden Euro (vgl. Henrich 2023).

Umdenken – und zwar jetzt!

Vermutlich kann man sich fragen, warum dieser Artikel jetzt in dieser Kommentarspalte erscheint, da er bis dato keine Relevanz für die akademische Arbeitswelt hat. Jedoch habe ich mir folgenden Satz aus der Vereinsbeschreibung zu Herzen genommen: „RespectScience hat das langfristige Ziel, durch Aufklärung einen Wandel des Wissenschaftssystems und eine Entlastung der wissenschaftlich Arbeitenden anzustoßen“. Die derzeitigen Arbeitsverhältnisse und Normalitäten vieler wissenschaftlicher Arbeitenden sorgen nicht nur für sehr hohen Stress (ein Risikofaktor für jegliche psychische Störung), sondern Betroffene haben aufgrund von fehlender Sensibilisierung auch viele Nachteile am Arbeitsplatz.

Beim gebrochenen Bein oder der Querschnittslähmung wird niemand fragen, warum man nicht läuft oder den ganzen Tag nur im Stuhl sitzt, aber wenn der Kopf streikt und das Verhalten „von der Norm“ abweicht – heißt es sofort, dass man spinnt und/ oder schwach sei, da man sich nicht zusammenreißen kann. Besonders bei hohen Workloads vieler Studiengänge kann es so also schnell zu Erschöpfungssymptomen oder auch Substanzmissbrauch kommen und die Antwort kann wohl kaum lauten, immer mehr Ärzte und Therapeuten einzustellen.
Ich benutze gerne die Phrase „es müsste noch einmal mehr menscheln“ um zu unterstreichen, was es meiner Meinung nach braucht. Keine künstliche Intelligenz (KI), keine Software – nein! Ein ernst gemeintes „wie geht es dir?“ und die Erlaubnis, auch mal „nicht so gut“ zu antworten, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Schlussendlich sind Lernende wie Lehrende gefragt, denn Veränderung geht nur ganzheitlich!

Der Autor
Luca Bischoni ist Psychologiestudent in Aachen. Auf seinem Instagram-Account, auf  Vorträgen und in Workshops klärt Luca über Depressionen aus der Sicht eines Betroffenen  auf. Im Jahre 2022 veröffentlichte er darüber hinaus im Gallip-Verlag sein Buch „Als man mir den Stecker zog“ über seine Depression.

Literaturverzeichnis

Henrich, Laura. (2023): Psychische Erkrankungen kosten die Wirtschaft bis zu 42 Milliarden Euro im Jahr, FOCUS

Jacobi, F. et al. (2014): Psychische Störungen in der Gesamtbevölkerung, Der Nervenarzt

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