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Kommentar

Anti-Schwarzer Rassismus in der Sozialwissenschaft und was wir dagegen tun können

Als Schwarze Frau (mit einem weißen Elternteil), Feministin und Studentin der Sozialen Arbeit, habe ich in den vergangenen Jahren erlebt, wie unglaublich gewaltvoll und ausgrenzend die Soziale Arbeit agiert. Und das bis heute. Dazu wird ihr Handeln durch die Sozialwissenschaft auch noch legitimiert. 

Das sozialwissenschaftliche Feld ist – entgegen aller Behauptungen – tief verwurzelt in strukturellem, anti-Schwarzem Rassismus. Es bringt weiterhin die Perspektiven und Stimmen Schwarzer Wissenschaftler*innen und Nicht-Wissenschaftler*innen zum Schweigen (vgl. z.B. Kelly, 2021). Ob dies bewusst oder unbewusst geschieht, spielt vorerst keine Rolle. Wer entscheidet überhaupt, wer Wissenschaftler*in ist oder nicht?

Die historische Betrachtung zeigt deutlich: Sozialwissenschaft ist maßgeblich von den Stimmen weißer Wissenschaftler*innen geprägt. Und das spiegelt sich in der Art wie sie in deutschen Institutionen, insbesondere in Hochschulen, praktiziert wird. Speziell ist sie dabei von weißen, akademischen Frauen geprägt, die den Diskurs beherrschen (vgl. z.B. Nguyen; Kiebel, 2023).

Genau deshalb ist es schlichtweg eine Lüge zu behaupten, dass die Sozialwissenschaft im akademischen Umfeld neutral, objektiv oder unpolitisch sei. Im Gegenteil: Der Status Quo, der sich aus den genannten Gegebenheiten zusammensetzt, trägt wesentlich zur Aufrechterhaltung rassistischer Strukturen bei. Sie werden dadurch immer wieder gestärkt.

Für mich ist die Tatsache, dass diese rassistischen Zustände bereits seit Jahrhunderten von vielen Schwarzen Menschen, speziell Schwarzer Feminist*innen, kritisiert werden, besonders frustrierend. Auch in der Sozialwissenschaft. 

Es sind nämlich gerade Schwarze Feminist*innen, die unglaublich bedeutende Analysen, Ergebnisse und wissenschaftliche Arbeiten zu den Themen race, class und gender geliefert haben (vgl. z.B. Davis 2022). Die Sozialwissenschaft eignet sich diese bis heute an, ohne dafür angemessene Anerkennung zu geben.

Was also tun?

In Anbetracht der gegebenen Realität, ist es meiner Meinung nach super wichtig, die epistemische Gewalt von wissenschaftlichen Institutionen zu durchbrechen. Aber auch ehrlich darüber nachzudenken, ob wir diese Gewalt überhaupt mit Fortbestehen dieser Institutionen durchbrechen können (vgl. z.B. Thompson 2021). Dafür ist es nötig, sich einzugestehen, dass es für eine Gleichberechtigung einen radikalen Wandel im Wissenschaftssystem braucht. Das heißt auch, dass weiße Wissenschaftler*innen Macht, Ressourcen und Deutungshoheit abgeben müssen(!). 

Es reicht nicht aus, sich mit Reformen zufriedenzugeben. Wir müssen Wissenschaft komplett neu denken. Nur so können alle Menschen dazu befähigt werden, Wissen zu re_produzieren. Heute kann es nur ein kleiner Teil Akademiker*innen, die die Wissensre_produktion an sich reißen. Vor allem Professor*innen, da diese am meisten davon profitieren. Dabei geht es vor allem auch darum Schwarze, aber auch andere marginalisierte Stimmen, Analysen, Perspektiven etc. zu fördern, diese ernst zu nehmen und vor allem auch wertzuschätzen. Und letztendlich auch darum, sich vom kapitalistischen System zu lösen und Ressourcen fair zu verteilen.

Mein Appell geht da auch speziell an weiße Frauen in der Sozialwissenschaft, die ich dazu auffordern möchte, sich in der Praxis, nicht nur in der Theorie, solidarisch zu verhalten und auch den Platz freizumachen, wenn es nötig ist. Denn wir können vor allem im Bereich „Diversity, Equity & Inclusion (DEI)“ (Auf Deutsch: Vielfalt, Gleichberechtigung und Eingliederung) sehen, dass ihr das nicht tut.

An meine BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Geschwister in german academia möchte ich zum Schluss noch sagen:

Lasst euch bitte, bitte, bitte von niemandem einreden, dass eure Perspektive „nicht wissenschaftlich“, „zu emotional“ oder „zu subjektiv“ seien. Es ist Bullshit – einfach nur ein Werkzeug, um uns immer wieder zum Schweigen zu bringen. Eure Emotionen sind valide und eure Perspektiven sind wichtig! Egal was white academia euch erzählt! Lasst uns gemeinsam Räume schaffen, in denen wir wachsen können und nicht nur immer wieder aufs Neue erniedrigt werden!

Die Autorin
Tarah Truderung ist Bildungsreferentin, studiert im Master soziale Arbeit und ist als Aktivistin tätig. Auf ihrem Instagram-Account, auf Vorträgen und in Workshops klärt Truderung über strukturellen Rassismus an Hochschulen auf.

Literaturverzeichnis

Davis, Angela Y. (2022): Rassismus, Sexismus und Klassenkampf, 1. Aufl. Münster: Unrast.

Kelly, Natasha A. (Hrsg.) (2021): Rassismus: strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!, 1. Auflage. Zürich: Atrium.

Kilomba, Grada (2020): Plantation memories: episodes of everyday racism, 6th edition. Münster: UNRAST-Verlag.

Nguyen, Tú Qùybh-nhu; Kiebel, Johanna (2023): Die Soziale Arbeit als feminisierter white space. Mäglichkeitsräume und Widerstandsstrategien von weißen* und nicht-weißen* Frauen* in sozialen Ungleichheitsverhältnissen, Grin Verlag.

Roig, Emilia (2021): Why we matter: das Ende der Unterdrückung, 1. Auflage. Berlin: Aufbau.

Thompson, Vanessa E. (2021): Rassismus an der Hochschule. Intersektionale Verstrickungen und Möglichkeiten des Abolitionismus. In: Dankwa, Serena Owosua; Filep, Sarah-Mee; Klingovsky, Ulla; u. a. (Hrsg.) (2021): Bildung.Macht.Diversität: Critical Diversity Literacy im Hochschulraum, Bielefeld: transcript (Kultur und soziale Praxis).

Zakaria, Rafia (2022): Against white feminism: wie weißer Feminismus Gleichberechtigung verhindert, München: hanserblau.

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