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„Ich bin jeden Tag wissenschaftlich unterwegs, indem ich Dinge hinterfrage, erkenne und analysiere“

Foto: Lenny Rothenberg

Tarkan Bagci ist seit September 2022 Moderator der WDR-Wissenschaftssendung für Kinder „Wissen macht Ah!“ auf Kika. Zuvor war er Lokaljournalist, wechselte dann in die Comedy-Szene und schrieb für Fernsehformate wie Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“. Außerdem produziert er den Podcast „Gefühlte Fakten“ und schreibt erfolgreich Bücher. Im Interview mit RS-Vorstandsmitglied Selina Stiegler spricht er über die Bedeutung von Wissenschaft für unsere Gesellschaft.

Selina Stiegler: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wenig die Bevölkerung über Wissenschaft weiß. Wieso also Kindern Wissenschaft vermitteln und nicht Erwachsenen?

Tarkan Bagci: Die Kinder sind die Erwachsenen der Zukunft. Wissenschaft kann großzügig an jeden Menschen, der sich für Wissenschaft interessiert, vermittelt werden. Obwohl „Wissenschaftsvermittlung“ klingt, als wäre die Wissenschaft außerhalb der menschlichen Erfahrung und dass man sie vermitteln müsste – aber eigentlich ist Wissenschaft etwas sehr Menschliches. Ich habe gemerkt, jeder hat Wissenschaft in sich, vor allem Kinder. Sie fragen sich: Warum ist das so? Ist das wirklich so? 

Motiviert dich das auch?

Ich würde gerne sagen ja, dass die Vermittlung von Wissen für mich das Wichtigste ist. Aber der eigentliche Grund ist viel egoistischer. Aufgrund meiner Arbeit darf ich mich mit meiner Neugierde beschäftigen und lerne immer weiter. Und ich darf kreativ sein. Leidenschaft teilen zu können, ist eines der schönsten Dinge. Ich mache das gerne mit Comedy. 

Wie viel Comedy darf in die Wissensvermittlung?

Da sind keine Grenzen gesetzt. Lacher haben noch niemandem geschadet. Der Erfolg von Kommunikation hängt von Sympathie und Spaß ab. Es ist erlaubt, Spaß beim Lernen zu haben, und das sollten Schulen noch lernen. Es gibt keine faulen Kinder oder Menschen. Faulheit ist ein Ausdruck, der entsteht, wenn man etwas nicht gerne macht.

Was sind die Unterschiede in der Wissenschaftskommunikation zwischen Kindern und Erwachsenen?

Mit Kindern ist es einfacher. Zum einen ist man selbst gezwungen, klarer zu kommunizieren. Ich kann mich nicht hinter abstrakten Sätzen verstecken. Kinder haken anders nach. Erwachsene haben oft das Gefühl nicht zeigen zu dürfen, wenn sie etwas nicht verstanden haben und stellen daher andere Fragen. Sie möchten zeigen, dass sie etwas wissen und Kinder möchten etwas verstehen. Und das ist auch der Grundgedanke von Wissenschaft: Ich möchte etwas verstehen. 

Welche Themen beschäftigen vor allem Kinder?

Das tolle ist, die Themen müssen nicht in eine Schublade passen, es braucht keinen Aufhänger. Kein Kind wird dir ein spannendes Thema abschwatzen, weil es sich dafür gerade nicht interessiert. Bei Kindern sind es häufig Fragen, die man selten gehört hat. Wenn ich mit Kindern über die Feuerwehr rede, dann ist nicht die Frage „Was ist mit Notausgängen?“. Bei Kindern kommt die Frage „Warum brennt der Schlauch nicht?“. 

Warum brennt der Schlauch nicht?

Das ist eine gute Frage! Na, weil er aus nicht brennbaren Materialien besteht. Das wäre zumindest die erwachsene Antwort. Aber bei Kindern kommt man damit nicht durch. Denn was ist bitte “nicht brennbares Material”? Wenn etwas “brennt”, dann werden die Bindungen in den Molekülen aufgebrochen und mit Sauerstoffmolekülen neu kombiniert. Das setzt Energie in Form von Wärme und Licht frei. Flammen! Bei manchen Stoffen lassen sich die Moleküle leichter aufbrechen, bei anderen schwerer. Darum brennen manche Stoffe schneller, andere langsamer. 

Glaubst du, dass die Sendung „Wissen macht Ah!“ dazu führt, dass Kinder später als Erwachsene tatsächlich wissenschaftlich fundierte Entscheidungen im Alltag treffen werden?

Ich bin selbst mit der Sendung aufgewachsen. Und ihr Triumph ist es, dass man Neugierde und Freude am Lernen entdeckt. Es geht nicht darum, die Inhalte am Ende alle auswendig zu können – die meisten weiß ich selbst nicht mehr. Es geht darum, Nachfragen zu erlernen. Und das ist der Weg in die Wissenschaft. 

Welche Rolle spielt denn Wissenschaft in deinem Alltag?

In der Schule gibt es den Satz „Wann muss ich jemals wieder den Satz des Pythagoras anwenden?“. Im Fitness-Studio hingegen sagt niemand: Wann muss ich jemals wieder meinen Körper hoch- und runterdrücken. Aber wie man im Fitness-Studio Muskeln trainiert, trainiert man sein Gehirn, mitzudenken durch bestimmte Werkzeuge. Gedichtinterpretation lässt sich auf TikTok-Videos übertragen: Das lyrische Ich ist erkennbar oder man merkt, wenn jemand einen manipulieren möchte aufgrund bestimmter Rhetorik. Also bin ich jeden Tag wissenschaftlich unterwegs, indem ich Dinge hinterfrage, erkenne und analysiere. 

Aktuell ist auf politischer Ebene im deutschen Wissenschaftssystem einiges los. Die Reform des WissZeitVG wird weiterhin stark diskutiert, wissenschaftliche Aktivist*innen kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und die Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger wird fast wöchentlich darum gebeten zurückzutreten. Wie viel bekommst du davon als Moderator einer Wissenschaftssendung für Kinder wirklich mit?

Ich bekomme davon wenig mit und das ist ein Grundproblem. Es besteht immer noch eine Trennung zwischen den „Wissenschaftlern“ und der restlichen Bevölkerung. Doch wenn es einen Bereich gibt, der grundmenschlich ist, dann ist es die Wissenschaft. Die Fackeln in die Hand zu nehmen und aus der Höhle zu treten, um zu schauen, was draußen los ist. Uns wird empfohlen, den Börsenmarkt täglich im Blick zu haben, aber nicht die Wissenschaft. Zusätzlich wird vor allem pragmatische Wissenschaft gefördert, dabei gibt es keine unpragmatische Wissenschaft. Eine Studie hat zum Beispiel untersucht wie Katzen fallen, und der Bewegungsablauf wurde später auf Astronauten angewendet – jetzt haben wir Satelliten im All.

Für wie politisch hältst du deine Arbeit als Moderator einer Wissenssendung?

Sehr, sehr politisch. Ohne dass ich etwas Politisches sage. Wir haben keine politische Haltung und würden auch nichts Politisches vor der Kamera zu den Kindern sagen. Aber wir geben ihnen das Werkzeug in die Hand, eigenständig zu denken sowie zu handeln. Und das ist die Grundlage einer politischen Gesellschaft. Wir sind keine politische Sendung, aber wir bereiten Kinder auf politische Sendungen vor.

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