Leon Windscheid tourt mit seinem Programm „Alles perfekt“ durch Deutschland – und bringt dabei Tausende dazu, sich freiwillig mit Psychotherapie, Studienmethodik und gesellschaftlichem Denken auseinanderzusetzen. Im Gespräch erzählt er, warum Wissenschaftskommunikation kein nettes Extra ist, was ihn an der deutschen Forschungslandschaft frustriert und wie er versucht, Menschen jenseits des Elfenbeinturms zu erreichen – ohne sie zu unterschätzen.

Selina Stiegler: Ist alles perfekt bei Ihnen, Herr Windscheid?
Leon Windscheid: Alles sehr, sehr gut. Ich habe gerade für eine „Terra Xplore“-Sendung auf dem Oktoberfest als Kellner gearbeitet – und ich glaube, ich habe mich an der Oktoberfest-Grippe beteiligt. Aber sonst ist alles sehr gut.
Sie sind gerade mit ihrem gleichnamigen Programm „Alles perfekt“ auf Tour und versprechen, Wissenschaft nahbar zu machen. Welche psychologischen Tricks benötigt es, um Menschen für Psychologie – oder generell für Wissenschaft – zu begeistern?
Wir leben in einer Zeit, in der so viel geschwurbelt wird. Die Menschen steigern sich in Verschwörungstheorien rein, in den USA wird an vielen Stellen die Wissenschaft prominent mit den Füßen getreten. Und trotzdem waren bei meiner vergangenen Tour etwa 100.000 Leute. Dass man so viele Menschen begeistern kann, an einem Abend in eine Halle zu kommen, um sich etwas über die Wissenschaft anzuhören, gibt mir richtig Hoffnung. Ich sage das auch immer dem Publikum zum Start. Es gibt noch Leute, die Lust haben, eine Ecke weiter zu denken, die sich freuen, wenn ich auf der Bühne zu allem, was ich sage, die Quellen einblende. Sie freuen sich, wenn ich eine Studie zeige und dazu sage: “Ja, das ist jetzt das Ergebnis, aber die Stichprobe war vielleicht nicht so groß und deswegen müssen wir das auch noch mindestens aus einer kritischen Perspektive betrachten.” Und das sind halt die Momente, die mich total begeistern, so eine Bühnenshow zu machen.
Sie möchten mithilfe von weltweiter Spitzenforschung Fragen des Lebens beantworten, wie „Wie gelingt ein Leben in echter Zufriedenheit?“. Kann denn aber Spitzenforschung in der aktuellen politischen Lage adäquat genug stattfinden, um uns diese Antworten zu liefern?
Es gibt einen Teil in mir, der manchmal denkt: “Wenn ihr die Forschung so mit Füßen tretet, wenn ihr einen Gesundheitsminister in den USA auftreten lasst, der öffentlich kuriose Thesen über Autismus verbreitet, die dann der Präsident aufgreift, werdet ihr sehen, wohin das führt”. Medizinischen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt erreichst du nur mit Wissenschaft, die frei arbeiten kann, die gut funktioniert, die nicht gegängelt wird. Aber den Gedanken lege ich schnell wieder ab. Mitgefühl mit den Forschenden in den USA und anderswo, denen Druck gemacht wird, die ausgegrenzt werden, überwiegen dann. Und daraus entsteht die Motivation, noch mal mehr für die Wissenschaft einzustehen und andere dafür zu begeistern.

Foto: Jonathan Welzel
Sie sind generell bekannt dafür, wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie gut unterstützt das deutsche Wissenschaftssystem eigentlich Wissenschaftler:innen dabei, ihre Ergebnisse außerhalb der Fachwelt zu kommunizieren?
Ich spreche für meine“Terra Xplore”-Sendungen mit vielen Menschen aus der Forschung. Es begeistert mich, den Menschen zuzuhören. In Deutschland gibt es viel Top-Forschung und viele wirklich große Köpfe in der Wissenschaft, die viel zu selten eine Bühne bekommen. Ich denke, der Anspruch darf sein, dass Wissenschaftler:innen sich auch darum kümmern, ihre Wissenschaft in die Welt zu bringen und dass sie viele Leute erreicht. Aber ich finde auch, dass das ein zweischneidiges Schwert ist. Als Forschender bist du für die Forschung zuständig. Und die Kommunikation darüber ist eine zusätzliche Aufgabe. Die kann von Forschenden kommen, aber ich würde mir auch wünschen, dass die Medien grundsätzlich mehr über Forschung berichten.
Also ich bin total dankbar, wenn mir eine Professorin etwas erzählt und sich dabei Mühe gibt, verständlich zu sein und sich die Zeit nimmt. Aber ich verstehe auch, wenn sie sagt: „Ich brauche kein Instagram oder TikTok, ich mache Forschung.”
Wieso ist Wissenschaftskommunikation für Sie so wichtig?
Eine Freundin meiner Mutter hatte mich schon als Kind als Naturentdecker beschrieben. Ich bin aufgewachsen mit dem Mindset, ein kleines Glas zu haben, mit einer Lupe auf der Klappe, um Käfer zu untersuchen. Ich habe selbst geforscht, zu Frauen in Top-Führungspositionen, habe Studien veröffentlicht. Ich habe mich lange gefragt, ob ich vielleicht in der Forschung bleiben möchte. Aber dann stehe ich Backstage hinter der Bühne und beobachte, wie die Menschen zur Location laufen. Die haben sich einen Babysitter für den Abend besorgt. Und da ist Stefan, der mit seiner Maria an der Hand hier hinläuft. Der vielleicht den ganzen Tag Ölwannen in seiner Werkstatt abgeschraubt hat und sie hat den ganzen Tag bei der Versicherung gearbeitet, sie haben nichts mit Psychologie zu tun. Sie wissen nicht, was eine randomisierte Kontrollstudie ist. Die wissen nicht, was ein Fixed-Effekt ist. Und genau die kommen und haben zwei Stunden Lust mir zuzuhören. Das finde ich total faszinierend.
Ich überlege mir dann, wie ich genau solchen Menschen vermitteln kann, was eine gute Studie ist, dass man sich die Methodik ansehen muss und nicht alles glauben soll, nur weil es dazu Studien gibt.
Ich habe für mich festgestellt – und da möchte ich einen Appell an alle richten, die Wissenschaftskommunikation betreiben: Ich glaube, wir unterschätzen oft unser Publikum und denken, dass etwas zu kompliziert sei.
Leon Windscheind
Haben Sie während Ihrer Karriere einen Lernprozess gehabt? Zum Beispiel, weniger kompliziert über Wissenschaft zu sprechen?
Ich habe für mich festgestellt – und da möchte ich einen Appell an alle richten, die Wissenschaftskommunikation betreiben: Ich glaube, wir unterschätzen oft unser Publikum und denken, dass etwas zu kompliziert sei. Aber man muss es wie eine Zwiebel Schicht-um-Schicht aufbereiten, bis zum komplizierten Kern. Als ich meine erste Show gemacht habe, waren da hundert Leute. Ich kam in einem weißen Kittel, habe aus einem alten Skatehelm von mir mit Alufolie und Kabeln einen Hirnscanner gebaut. Und die Show muss absolut furchtbar gewesen sein, weil es keine gute Wissenschaftskommunikation war. Man muss mit den Klischees brechen. Ich erzähle heute als junger Typ aus meinem Leben und verbinde das mit Studien. Der Lernprozess geht aber immer weiter.
Machen Sie sich Sorgen um das Wissenschaftssystem in Deutschland?
Ich habe oft das Gefühl, dass unsere Systeme darauf aufgebaut sind, dass vor allem Menschen einen Zugang zum Studieren erlangen, die wie ich das Glück haben, zwei Beamte als Eltern zu haben. Also wenn Geld und Sicherheit da ist. Und das gleiche gilt auch für die Forschungskarriere. Zeitverträge, keine sicheren Aussichten. Würde so etwas in einem privaten Unternehmen passieren, dann würde der Staat sofort klagen. Aber hier profitiert der Staat selbst davon und das finde ich furchtbar. Noch mal: Wir sind der Staat und Forschung sowie deren Ergebnisse gehört uns allen. Das sollte doch einen Stellenwert für uns haben und die Leute entsprechend behandelt werden.
Welchen psychologischen Rat haben Sie für alle, die aufgrund der aktuellen Situation mental sehr belastet sind?
Was mir persönlich hilft, ist in schwierigen Zeiten mir nicht noch auf einer Meta-Ebene zusätzlich Druck zu machen. Wenn ich merke, da ist ein Druck, dass ich gerade Angst habe, dann sollte ich das Gefühl ernst nehmen. Es ist wichtig herauszufinden, worauf einen diese Gefühle hinweisen möchten, ob man etwas dagegen tun kann. Gibt es vielleicht die Möglichkeit, sich gegen ein System zu wehren, das einen ungerecht behandelt? Natürlich nur, wenn man die Energie dafür hat. Mir persönlich hilft es, mich nicht für meine Gefühle zu verurteilen, sondern sie anzunehmen. Es ist in Ordnung, wenn gerade nicht mal “Happy life” ist.
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