Warum sollten wir über Macht sprechen, Frau Forschung?

Als „FrauForschung“ klärt die Wissenschaftlerin Lisa Niendorf auf Instagram und TikTok über Wissenschaft, Arbeiten und Lehren an Hochschulen sowie gesellschaftliche Probleme auf. Besonders liegen ihr Themen wie Machtmissbrauch, Sexismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit an Hochschulen am Herzen. Mit RespectScience sprach sie über ihr neues Buch „UNIversal gescheitert?“.

Foto: Frederik A.

Woran sind wir universal gescheitert, Frau Niendorf?

Lisa Niendorf: Das Schöne ist, dass mein Buch-Titel mit einem Fragezeichen versehen ist: Sind wir an der Strukturierung des Wissenschaftssystems gescheitert? Sind wir so exzellent wie wir immer sagen? Auch wenn die Politik eine Exzellent-Strategie für die Wissenschaft hat, frage ich mich, wie können wir exzellent sein, wenn immer mehr Wissenschaftler:innen die Wissenschaft wegen Machtmissbrauch oder prekären Arbeitsbedingungen verlassen? Oder sind wir schon beim Zugang zum Studium gescheitert? Welche Stimmen lassen wir an Hochschulen zu, welche nicht? All das habe ich mir angesehen und mit Fragezeichen versehen. Andere Punkte habe ich offen gelassen, wie: Trauen wir uns, Hochschule und Wissenschaft anders zu denken? Bei anderen habe ich nach der Recherche die Fragezeichen durch Ausrufezeichen ersetzt.

Wo haben Sie diese Ausrufezeichen gesetzt?

Auf jeden Fall beim Machtmissbrauch. Ich hatte zuvor auf Social Media einen Aufruf gestartet, um Fallbeispiele für mein Buch zu sammeln. Das ganze Leid, was ich da gelesen habe – zehn bis 15 Jahre haben manche teilweise gebraucht, um darüber sprechen zu können. Aus der Scham heraus zu treten, um zu erkennen: ich war nicht schuld, ich war nicht zu dumm, ich war nicht zu laut. Noch heute haben die Betroffenen Angst vor Konsequenzen, wenn ihr Fall öffentlich wird, weshalb ich sie im Buch überwiegend nicht veröffentlichen durfte. 

Beim WissZeitVG habe ich auch ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Grundidee war damals gut, dass Wissenschaftler:innen irgendwann an Hochschulen entfristet angestellt werden können, aber es wurde was ganz anderes daraus gemacht. Die Stellen werden nicht entfristet, sondern es werden einfach neue Leute eingestellt. Es fehlt an Sanktionen und festgelegten Quoten, wie viele Entfristungen es geben muss. So hat sich dieses Gesetz zu einem Monster entwickelt.

Und beim Rassismus: Ich habe mit Schwarzen Wissenschaftler:innen gesprochen, die eine ganz andere Perspektive auf Wissenschaft haben. Die Idee, dass Wissenschaft so eindeutig und objektiv ist, gerät dadurch ins Wanken. Die Qualitative Forschung hat zum Beispiel auch deswegen so einen schweren Stand, weil durch sie Erfahrungswissen außerhalb des Zählbaren sichtbar wird und so marginalisierte Gruppen in den Diskurs einbringt. Diese Idee, dass Wissenschaft das ist, was mess- und zählbar ist, ist auch weiß, CIS und männlich. Wissenschaft ist genauso rassistisch wie die Gesellschaft es auch ist.

Dafür, dass man einer Person so viel Macht gibt, braucht es eigentlich gute Gründe, die haben wir aber nicht.

Lisa Niendorf

Rassismus ist in der gesamten Gesellschaft vertreten. Was ist in der Wissenschaft die Besonderheit daran?

Ein Zitat von Maisha Auma finde ich da prägend: „Hochschulen sind tagsüber weiße Institutionen. Schwarzes Leben sehe ich vornehmlich ganz früh am Morgen oder spät am Abend, wenn das Reinigungspersonal seine Arbeit beginnt.“. Hochschulen und Wissenschaft sind entstanden, als der Rassismus und koloniale Denkweisen in der Gesellschaft noch stärker verankert war, als es heute ist. Wissenschaft ist schon immer ein Instrument gewesen um Macht zu demonstrieren und ein bestimmtes Herrschaftswissen zu legitimieren: Die ethnologische Rassenlehre durch Schädelmessungen, geografische Landkarten, die kolonialen Länder im Besitz anderer Länder dargestellt haben, oder die Medizin, die Schwarze Menschen als schwächer dargestellt hat.   

Das Kapitel über Rassismus habe ich mit krassen Bauchschmerzen geschrieben, weil ich selbst als weiße Frau mir angemaßt habe, über die Sichtweisen und Stimmen Schwarzer Menschen zu schreiben. Mit meinem weißen Arsch würde ich Rassismus nur in einer komplett anderen Welt erfahren,  deswegen sollte ich nicht die erste Person sein, mit der ihr über Rassismus in der Wissenschaft sprecht. Das sollten Schwarze Wissenschaftler:innen sein, wie  Maisha Auma Tarah-Tanita Truderung oder Natasha A. Kelly.

Machtstrukturen kommen in anderen Arbeitsverhältnissen ebenso vor. Warum also gerade über die, in der Wissenschaft sprechen?

Wir haben überall bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse. In der Wissenschaft haben wir aber ein ganz besonderes Machtverhältnis. Da wird einer Person ganz viel Macht und Verantwortung verliehen. Wenn Professor:innen, Doktorand:innen betreuen, bewerten sie gleichzeitig deren Forschung und sind zusätzlich ihre Vorgesetzten. Professor:innen bestimmen über deine Note, über das Ausmaß der Betreuung, ob dein Arbeitsvertrag weiter finanziert wird, ob dein Urlaubsantrag genehmigt wird oder auf welche Konferenz du gehen darfst. Dazu kommen noch befristete Arbeitsverträge und das WissZeitVG, dass ein solches Abhängigkeitsverhältnis noch verstärkt. Dafür, dass man einer Person so viel Macht gibt, braucht es eigentlich gute Gründe, die haben wir aber nicht. Und wenn Personen dann nicht verantwortungsvoll oder sogar gewaltvoll mit dieser Macht umgehen, haben Hochschulen kaum Sanktionsmechanismen dafür und so werden die Betroffenen in diesen Fällen häufig allein gelassen.

Außerdem werden durch die Machtverhältnisse ebenfalls gesellschaftliche Ungerechtigkeiten wie Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und Sexismus verschärft. Das spiegelt sich auch in den Umfragen zum Thema Machtmissbrauch an Universitäten wider.

Wie sind Sie beim Schreiben mit Ihren eigenen Vorurteilen und Machtposition umgegangen? Sie sagten es ja selbst, Sie sind eine weiße Frau.

Ich habe mit ganz vielen Kolleg:innen gesprochen. Mein Rassismus-Kapitel haben deswegen auch fünf verschiedene Personen gegengelesen. Ich wurde dabei auf die Frage aufmerksam gemacht, inwiefern weiß-gelesene Menschen, nicht-deutscher Herkunft zum Beispiel antislawischen Rassismus erfahren, obwohl sie vielleicht erstmal als weiß gesehen werden. Ich wurde von anderer Seite darauf aufmerksam gemacht zu betonen, dass antislawischer Rassismus nicht der Gleiche sein kann, wie Rassismus den Schwarze Menschen erfahren. Dennoch wollte ich das Phänomen in meinem Buch gerne reflektiert aufgreifen, auch wenn das für mich eine schwere Gratwanderung war, beide Perspektiven darzustellen. Es war mir sehr wichtig, von anderen Menschen aufgezeigt zu bekommen, wo ich Dinge nicht sehen kann. Ein Freund war genervt von meinem demütigen Blick. Er hat gesagt: “Du bist in der Position über Rassismus zu sprechen, also nimm die Verantwortung ernst. Als privilegierte Person kannst und sollst du sogar darüber sprechen. Du wirst was falsch machen und dann wird dir gesagt, was daran falsch ist und dann machst du es halt besser.”

Wieso sollte man sich für diese Strukturen in der Wissenschaft interessieren, auch wenn man vielleicht nicht in der Wissenschaft arbeitet?

Wissenschaft in ihrer Freiheit ist eine zentrale Säule für den Erhalt unserer Demokratie und es sollte ein generelles Interesse für das Wissenschaftssystem in Deutschland geben. Denn die Wissenschaft steht zur Zeit unter Beschuss und muss gerade ihre Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft zurückgewinnen. Mir war es deshalb wichtig aufzuzeigen: Was ist eigentlich Wissenschaft? Wie funktioniert das Wissenschaftssystem? Und was passiert mit den Steuergeldern in der Forschung?  Das geht uns alle etwas an. Die finanziellen Kürzungen an Universitäten wirken sich massiv auf die Qualität der Lehre aus, was wiederum die Qualität der Studienabschlüsse und auch unserer Fachkräfte auswirken wird, die ja wiederum Andere aus- und weiterbilden sollen. Ich frage mich: Wie gut kann unsere Gesellschaft werden, wenn wir dort sparen, wo unsere künftigen Fachkräfte ausgebildet werden?

Außerdem haben wir immer mehr Menschen im System, die studieren. Ich möchte, dass diese eine transparente Chance bekommen zu wissen, was sie erwartet. Ich hatte früher ein idealisiertes Bild vom Promovieren, da wurde mir nicht erzählt, dass die meisten Forschenden befristet angestellt und unterbezahlt sind – dann hätte ich mich vielleicht anders entschieden. Ich möchte, dass Leute, die diese Entscheidung treffen, sie wissentlich treffen. Ist das, was mich erwartet, etwas das ich mir leisten kann? Ökonomisch, aber vor allem sozial und emotional.

Das Machtvollste, was wir tun können, ist uns selbst in unserem Handeln immer wieder zu hinterfragen. Denn auch ich habe Macht missbräuchlich genutzt […]

Lisa Niendorf

Wenn ich Sie nun Frage, ich möchte etwas gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft tun, was würden Sie mir raten?

Bildet Banden. Informiert euch über Schutzmechanismen und Anlaufstellen. Wendet euch an Vereine oder Initiativen wie „#metooscience“, „Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft“ oder an euch „RespectScience“. Das Machtvollste, was wir tun können, ist uns selbst in unserem Handeln immer wieder zu hinterfragen. Denn auch ich habe Macht missbräuchlich genutzt – ich habe beim Bewerten von Hausarbeiten lange geschrieben „Wenn Sie eine bessere Note haben wollen, müssen Sie XY machen.“ So entstehen auch epistemische Ungleichheiten, indem ich entscheide, dass meine Perspektive scheinbar die Richtige ist. Eine andere Formulierung macht da einen riesigen Unterschied: „Nach meinen Bewertungskriterien benötigt es für eine höhere Note folgenden Punkt im Theorieteil XY“, so können die Studierenden entscheiden, ob und wie sie meine Anforderungen umsetzen wollen.

Was wären für Sie die drei zentralen Aspekte, die das Wissenschaftssystem weniger anfällig für Machtmissbrauch machen würden?

Keine große Hürde wäre es, die Konzentration von Macht zu reduzieren, indem die Betreuung und Bewertung von Promotionen getrennt wird. Mindestens aber, dass der Betreuer deiner Doktorarbeit, nicht auch noch deine Personalverantwortung trägt.
Zweitens: Die Fehlanreize in der Berufung hinterfragen. Um für eine Professur berufen zu werden, brauchst du viele Fördermittel, Publikationen und Peer Reviews. Solange es hier weiterhin um die Quantität von Zitationen und Publikationen geht, solange werden Wissenschaftler:innen die Karriere machen wollen, versuchen natürlich genau das zu erreichen und reproduzieren so das bestehende System. Denn auch die Qualität von Publikationen und Reviews leidet unter diesem Zeitdruck, unter dem die Forschenden dauerhaft stehen.
Ein dritter Punkt ist eine generelle Haltungsänderung. Professor:innen und Wissenschaftler:innen mit Personalverantwortung sollten sich verpflichtend in Bereichen Antirassismus, Antidiskriminierung und verantwortungsvolle Führung fort- und weiterbilden müssen. Nur so kann langfristig eine bewusste Auseinandersetzung mit den bestehenden Strukturen möglich werden.

„UNIversal gescheitert? Wissenschaft und Hochschule zwischen Machtmissbrauch, Leistungsdruck und Ausbeutung – Was wir dagegen tun können“, für 20 Euro als Buch oder für 17,99 Euro als E-Book im Handel erhältlich.

Nach oben scrollen